Am 20.9. hielten wir diesen Redebeitrag beim Klimastreik in Leipzig:
System Change Not Climate Change – Warum Kapitalismus und Klimawandel nur zusammen gestoppt werden können
Berichte der Klimaforschung haben schon vor ca. 30 Jahren ziemlich genau das vorher gesagt, was wir heute beobachten können: die Erde wird sich bis 2020 um 1,0° erwärmen und bereits dieser Temperaturanstieg hat schwerwiegende und zum Teil irreversible Folgen wie Hitzewellen, Dürre, Waldbrände, Artensterben und vieles mehr. Schon heute sind damit unmittelbar soziale Konsequenzen verbunden: 26 Millionen Menschen fliehen pro Jahr aus Ländern des globalen Südens vor den Auswirkungen der Klimakatastrophe. Dazu zählen z.B. Hunger nach Ernteausfällen, Armut durch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlage und Wasserknappheit. Hingegen ist der ökologische Fußabdruck der 27 Mitgliedstaaten der EU doppelt und der von Deutschland dreimal so hoch wie ihre Biokapazität. Wenn alle Menschen so lebten wie die Europäer, wären mehrere Erden notwendig. Der Klimaforschung ist auch weiter zu glauben, dass bis 2050 ein globaler Temperaturanstieg um insgesamt 1,5° erreicht werden wird. Die ökologischen und sozialen Auswirkungen lassen sich wegen des nicht-linearen Verlaufs und der Gefahr von Kipppunkten allerdings nicht vorhersehen. Sicher ist nur, dass es wesentlich schlimmer wird, als es bisher schon war, wenn nicht schnell, global, permanent und absolut die Umweltauswirkungen unserer Gesellschaft vermindert werden.
Uns steht also ziemlich sicher eine Katastrophe mit Ansage bevor, alle können es wissen, wenn sie es wissen wollen, und so nahezu jede Gegenmaßnahme scheint sinnvoll, notwendig und doch zugleich nicht ausreichend. Es mangelt nicht an Forderungen und konstruktiven Ideen (wie sektorenübergreifende massive Veränderungen in der Energieerzeugung, beim Wohnen und Bauen, Industrie, Transport und Verkehr sowie in der Landwirtschaft), um diese Katastrophe vielleicht doch noch abzumildern. Gleichzeitig werden das konsumkritische und symbolische Einsparen von Plastiktüten, Flügen oder Fleisch, das Kaufen von Bioavocados und das Pflanzen von Bäumen nicht annähernd ausreichen. Wirtschaftspolitisch wird mit dem ‚Green New Deal‘ und einer ‚Green Economy‘ ein neuer Kapitalismus propagiert, in dem neue ‚grüne‘ Technologien den wachsenden Konsum vom Ressourcenverbrauch und der Umweltverschmutzung entkoppeln sollen. Es ist die Illusion vom Weiter-So, vom Münchhausen-Kapitalismus, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht, vom bequemen und rettenden Wandel, ohne Ökonomie und Gesellschaft grundlegend verändern zu müssen. Diese grünen Technologien und Produkte gibt es bereits und sie haben dazu geführt, dass tatsächlich relativ weniger Umweltbelastungen bei deren Produktion entstehen. So können bspw. Energie und Materialien, die auf fossilen Rohstoffen basieren, zunehmend durch nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Stroh oder Rest- und Abfallstoffe ersetzt werden. Nur wird eben die grüne Produktion zusätzlich und nicht anstatt der fossilen Produktion errichtet, zusätzliche (erneuerbare) Ressourcen werden ausgebeutet, zusätzliche Emissionen beschleunigen den Klimawandel, zusätzliches Wachstum entsteht, das trotzdem nicht Hunger und Armut beendet. Das klassische Wirtschaftswachstum kompensiert, was mit grüner technologischer Effizienz eingespart wird. Umweltfreundliche Produkte sparen kein CO2, wenn insgesamt trotzdem mehr produziert wird. Dabei ist es die immer gleiche Ökonomie, die sich automatisch weiter ihrer eigenen Grundlagen – der Menschen und der Natur – beraubt.
Doch was ist dieser Kapitalismus und warum ist er so unbeherrschbar, unvernünftig, unaufhaltsam und können wir ihn verändern? Kann er einfach weniger wachsen und weniger Natur verbrauchen? Selbst wenn alle guten Willens wären und ab morgen anfangen würden sich anders zu verhalten, wissenschaftliche Studien ernst zu nehmen, anders zu konsumieren und andere Parteien und Politiker*innen zu wählen – würde sich grundlegend etwas ändern?
Der eigentliche Zweck von Ökonomie sollte sein, menschliche Bedürfnisse mittels einer Produktion von Gütern zu befriedigen, die sich knapper Ressourcen bedient. Im Kapitalismus allerdings werden diese Bedürfnisse nur dann befriedigt, wenn sie mit Kaufkraft verbunden sind. Die Ursache für Hunger ist nicht der Mangel an Nahrungsmitteln, sondern Armut. Denn durch die Produktion von Waren muss ein Gewinn gemacht werden, aus Geld mehr Geld werden und die grüne Lampe des Profits aufleuchten, sonst findet keine Produktion statt. Dieser Mechanismus der Kapitalakkumulation verselbstständigt sich so sehr, dass die abstrakte und inhaltsleere Geldvermehrung zum Selbstzweck wird und sich dafür der Warenproduktion lediglich bedient. In dieser Mittel-Zweck-Verdrehung des Kapitalismus ist die Produktion nicht dazu da, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern die Menschen sind dazu da, um die Bedürfnisse der Produktion zu befriedigen.
Für diesen Selbstzweck und die Anhäufung von Reichtum gibt es keine moralische oder materielle Grenze und kein ‚Genug‘. Dem strukturellen Zwang, immer mehr Natur und Arbeit zu verwerten, liegt aber nicht irgendeine Dummheit oder Gier zugrunde. Es sind auch nicht allein die Banken und internationalen Großkonzerne daran Schuld, wie es so manche antisemitische Verschwörungsideologie in der Geschichte des Naturschutzes glauben machen wollte. Es ist die innere Logik des Kapitalismus, der auch dann gefolgt werden muss, wenn sie die menschlichen Lebensgrundlagen und die Menschen selbst zerstört. Obwohl klar ist, dass fortwährendes materielles Wachstum in einer materiell begrenzten Welt nicht möglich ist: ‚die Politik‘ und ‚der Staat‘ können nicht gegen diese Logik agieren, denn sie sind selbst Teil und abhängig davon. Ein kapitalistischer Staat muss den Markt und damit die Kapitalverwertung aufrecht erhalten, um damit wie ein großes Unternehmen in einer globalen Konkurrenz bestehen zu können. Es sind also nicht irrationale Akteure, die einen erfolgreichen Klimaschutz verhindern, sondern deren rationales ökonomisches Handeln innerhalb eines irrationalen (un-)ökonomischen Systems.
Wir leben in einem widersprüchlichen System und diese Widersprüche lassen sich weder in einem fossilen noch in einem grünen Kapitalismus auflösen. Die ökologische Krise ist zugleich auch eine soziale Krise. Diese beide Aspekte lassen sich nicht voneinander trennen, da sie die selbe Ursache haben. Die Landtagswahl in Sachsen hat außerdem gezeigt, dass viele Menschen die Widersprüche dieser Gesellschaft mit einer unökologischen, unsozialen, autoritären, nationalistischen und faschistischen Politik verdrängen wollen.
Gegen den Klimawandel zu kämpfen, muss heißen, gegen die sozialen Krisen und ihre Ursachen zu kämpfen. Dafür braucht es eine Politik, die nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und konsequent antifaschistisch ist. Wir müssen für eine neue, bessere und solidarische Gesellschaft jenseits des Bestehenden eintreten. Und trotzdem braucht es schon heute Lösungsansätze und Maßnahmen wie eine CO2-Steuer, erneuerbare Energien und nachhaltige Produkte, Bäume als Kohlenstoffspeicher, Fahrradwege und kostenlosen ÖPNV statt SUVs und Billigflieger. Es braucht eine sektorenübergreifende sofortige Transformation. Denn sonst wird es in Zukunft keine materielle Grundlage mehr für eine bessere Gesellschaft geben. Wir müssen uns heute schon in und bei Klimastreiks, politischen Gruppen, Lesekreisen, Stadtgärten und solidarischen Landwirtschaftsinitiativen zusammenschließen, um ein Leben jenseits von Kapital- und Profitlogik zu erfahren und zu lernen, eine antikapitalistische, antifaschistische, feministische und ökologische Bewegung zu sein. In der sozial-ökologischen Krise kann das Ökologische nicht gegen das Soziale ausgetragen werden, sondern das Soziale muss innerhalb der ökologischen Grenzen erkämpft werden.
Alle fürs Klima! Alle gegen Faschismus, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus! Alle gegen Kapitalismus! Alle für eine Utopie!